Verkümmerte die reiche Tempelkultur Ägyptens in der Ära des hellenistischen Einflusses? Diese traditionelle Annahme trifft nicht zu, sagt eine niederländische Ägyptologin. Die Kultur blühte auch unter den Ptolemäern, belegt ihre Recherche.
Es gab Neuerungen bei den Ritualen, die aber weiterhin auf den alten Traditionen basierten – als einen “Niedergang” könne man dies nicht bezeichnen, so Carina van den Hoven von der Universität Leiden.
Zweifellos war es eine Zeit des Wandels für das Reich am Nil: Im Zuge seiner Eroberungen hatte Alexander der Große auch Ägypten zu einem Teil seines makedonischen Reiches gemacht. Er selbst war der ägyptischen Kultur sehr zugetan, doch bekanntlich währte seine Herrschaft nur kurz: Im Jahre 323 v. Chr. starb er und hinterließ ein Nachfolge-Chaos.
Alexanders ehemalige Generäle übernahmen die Herrschaft über die verschiedenen Teile des Reiches und stritten sich. Ex-General Ptolemaios erhielt 322 v. Chr. schließlich die Herrschaft über Ägypten. 305 v. Chr. ernannte er sich selbst zum König und gründete damit die ptolemäische Dynastie, die erst mit dem Tod der berühmten Kleopatra im Jahre 30 v. Chr. endete.
Kein lokal begrenztes Phänomen
Wie Carina van den Hoven betont, zeichnen sich in dieser Zeit Veränderungen in der gesamten Gesellschaft Ägyptens ab. Dies geschah teilweise wegen der vielen Griechen, die vor allem nach Alexandria kamen – der neuen Hauptstadt im Norden Ägyptens. Die Wirtschaft blühte, und zahlreiche Innovationen hielten Einzug in Landwirtschaft, Technik und den Handel. Auch Kunst und Kultur verschmolzen, wie zahlreiche Beispiele belegen. Doch wie wirkte sich der Wandel auf die Kultur in den Tempeln aus? Dieser Frage ist van den Hoven gezielt nachgegangen.
Die Ägyptologin führte ihre Untersuchungen teilweise vor Ort durch: Sie reiste zu den Ruinen der Tempel und dokumentierte dort die rituellen Szenen auf den Wänden sowie entzifferte Hieroglyphen-Texte. Van den Hoven untersuchte insbesondere die Tempel von Edfu und Dendera in Südägypten, deren gut erhaltene Reste überwiegend aus der Zeit der Ptolemäer stammen. „Diese Tempel sehen auf den ersten Blick traditionell aus, als ob sich seit der Zeit der alten Pharaonen nichts geändert hatte”, so Van den Hoven. „Aber wenn man näher hinschaut, kann man in ihrer Architektur und Dekoration den Unterschied klar sehen”.
Innovationen, verwurzelt in Traditionen
Ihre Auswertungen der rituellen Darstellungen und der Texte dieser Tempel verdeutlichten: Die Tempelrituale hatten sich verändert, und es gab neue. In diesen neuen Kompositionen wurden allerdings traditionelle Elemente wiederverwendet. Also gibt es nicht wirklich einen Bruch, sondern eine Entwicklung. Außerdem entwickelten sich rund 2000 neue hieroglyphischen Zeichen in der ptolemäischen Zeit. Die Behauptung, die altägyptische Kultur sei in dieser Zeit verkümmert oder gar zu einem Ende gekommen, ist falsch, betont die Ägyptologin.
Bisher wurde oft angenommen, die ägyptischen Priester hätten in dieser Zeit Entwicklungen blockiert, wodurch die Tempelkultur letztlich litt. Dahinter steckt der Gedanke, dass sie versuchten, die kulturelle Identität Ägyptens auf diese Weise zu bewahren und den Verlust ihres Status zu kompensieren. „Diesen Eindruck habe ich nicht”, sagt Van den Hoven. „Die Tempel waren weiterhin lebendig. Meiner Einschätzung nach versuchte man nicht so sehr, kulturelle Identität zu bewahren, sondern eher eine Neudefinition der ägyptischen kulturellen Identität zu entwickeln, die aber auf Tradition basierte”, so Van den Hoven. Eine kluge Strategie, meint die Ägyptologin: „Veränderungen werden besser akzeptiert, wenn sie in Traditionen verankert sind.”