Unterwäsche ist mehr als ein Kleidungsstück: Was Textilien aus drei Jahrhunderten über gesellschaftliche Trends, Moden und technische Erfindungen ihrer Zeit sagen, davon handelt die Sonderausstellung „Auf nackter Haut – Leib. Wäsche. Träume.” im Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Noch bis zum 31. Januar 2016 ist in dem Stuttgarter Museum ein Exkurs in die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des deutschen Südwestens zu sehen.
„Eine Zeit und eine Gesellschaft spiegeln sich nicht nur in großen Staatsaktionen. Manchmal verrät der Blick darunter mehr über die jeweilige Epoche, wie unsere Ausstellung eindrucksvoll zeigt”, so Museumsleiter Thomas Schnabel.
Perspektive beider Geschlechter
Und wie wer zur Unterwäsche stand und steht, ist immer auch eine Frage des Blickwinkels. „Die Ausstellung blickt auf das Thema vor allem aus der Perspektive beider Geschlechter, aber auch aus der unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen”, beschrieb Ausstellungsleiterin Paula Lutum-Lenger das Konzept. Frühe Büstenhalter, klassischer Feinripp, reizvolle Spitze: Die Wäschestücke und Bademoden werden in der Ausstellung wie in einem großen Schaufenster in die Vergangenheit präsentiert. Sie erzählen von Lebensreformbewegungen und Körperidealen, von Geschlechterrollen und Moralvorstellungen. Filmausschnitte zeigen, wie die intime Hülle Film und Werbung eroberte: Träume und Inszenierungen – ob athletisch-heroisch wie in Leni Riefenstahls Sequenzen aus der NS-Zeit oder erotisch wie etwa in Rolf Thieles „Das Mädchen Rosemarie”.
Vor allem Objekte aus den Produktarchiven der Hersteller Schiesser und Wilhelm Benger Söhne ermöglichen einen Überblick über all das, was meistens nicht sichtbar war und ist. Nachdem Schiesser 2009 Insolvenz beantragt hatte, gab der Insolvenzverwalter die komplette Musterkollektion der Traditionsfirma mit weit über 5000 Wäschestücken aus 135 Jahren als Leihgabe ans Haus der Geschichte. „Das Unternehmen entwickelte sich wieder günstig, und das Wäschearchiv konnte als Ganzes erhalten werden”, blickte Paula Lutum-Lenger zurück auf den ersten Schritt hin zur Ausstellung.
Boombranche bis in die 1950er
Der Radolfzeller Wäscheproduzent war ein zentraler Bestandteil einer einst boomenden Maschenindustrie. „Mehr als 100 Jahre prägte die Textil- und Bekleidungsindustrie in Baden, Württemberg und Hohenzollern die wirtschaftliche Entwicklung”, erklärte Thomas Schnabel. „Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde sie vom Maschinen- und Fahrzeugbau abgelöst. Heute spielt sie bei Umsatz und Beschäftigung nur noch eine vergleichsweise geringe Rolle.”
Aus den Maschinen kam im Lauf der Jahrzehnte auch manches, was aus heutiger Sicht kurios wirkt. Etwa Untertrikotagen für Frauen mit taschenartigen Einsätze für die Brüste, rosa Männerunterhosen, Badeanzüge aus Wolle, Wäsche aus Papier oder schweißtreibenden Kunststoffen. Die Ausstellung birgt so manche Überraschung.