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Die älteste Schiffskanone Europas

Geschichte|Archäologie

Die älteste Schiffskanone Europas
Kanone
Diese Schiffskanone stammt aus dem 14. Jahrhundert und wurde am Meeresgrund vor der Küste Westschwedens entdeckt. © Bo Niklasson/ Bohusläns Museum

Kanonen gehörten spätestens ab dem 15. Jahrhundert zur festen Ausstattung vieler Kriegs- und Handelsschiffe. Jetzt haben Archäologen jedoch eine Schiffskanone entdeckt, die rund 100 Jahre älter ist als bisherige Funde. Die vor einer westschwedischen Insel gefundene Kanone ist die älteste sicher datierte Schiffsartillerie in Europa. Im Rohr des nur rund 50 Zentimeter langen Geschützes steckten sogar noch Reste eines Pulverbeutels. Bauform und Material zeugen davon, dass die Entwicklung der Schiffskanonen zu jener Zeit noch in den Kinderschuhen steckte.

Kanonen sind aus historischen Berichten über Seeschlachten und Piraten kaum wegzudenken, doch wann begann man, Schiffe mit solchen Waffen auszurüsten? Bisher gibt es dazu nur wenige Informationen. “Unser Wissen über die frühesten Formen von Schießpulver-Waffen und ihre Nutzung in Europa ist überraschend mager”, erklären Staffan von Arbin und seine Kollegen von der Universität Göteborg. Die bisher frühesten datierbaren Schiffswracks mit Kanonen sind das 1440 vor Sizilien gesunkene “Cavoli”-Wrack und das dänische Flaggschiff “Gribshunden” aus dem Jahr 1495. Auch bei den historischen Berichten über Schiffskanonen stammen die meisten Zeugnisse erst aus dem 15. Jahrhundert.

Kanonenrohr samt Resten des Pulversäckchens

Ein vor der westschwedischen Insel Marstrand von einem Hobbytaucher entdecktes Relikt ändert dies nun: Ein Hobbytaucher stieß dort auf eine kleine, nur rund 50 Zentimeter lange Kanone, die allein, ohne umgebendes Schiffswrack oder andere Trümmerteile, in rund 20 Meter Tiefe am Meeresgrund lag. Nach der Bergung des Funds gelangte dieser zur weiteren Untersuchung an das Schifffahrtsmuseum der Universität Göteborg. Dort analysierten von Arbin und seine Kollegen die kleine Kanone näher. Dabei zeigte sich, dass in der Pulverkammer am hinteren Ende der Kanone noch Reste eines Stoffsäckchens steckten. “Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die Relikte einer Kartusche, einer Stoffhülle, die die Pulverladung für die Kanone enthielt”, berichten die Archäologen. “Dies spricht dafür, dass diese Kanone Teil der Schiffsbewaffnung war und nicht bloß ein Frachtstück.”

Doch die Stoffreste waren noch aus einem anderen Grund hilfreich: Sie ermöglichten es den Forschern, die Kanone mittels Radiokarbondatierung zu datieren. Diese ergab, dass die Schiffskanone aus der Zeit zwischen 1285 und 1399 stammen muss. “Damit ist die Marstrand-Kanone nicht nur älter als jeder andere Fund von Schiffsartillerie in Europa, sie ist auch das älteste Stück Artillerie, das jemals entdeckt wurde”, berichten von Arbin und seine Kollegen. Der Fund belege zudem, dass Pulverkartuschen früher in Gebrauch waren als zuvor angenommen.

Einblick in die Frühzeit der Schiffsartillerie

Die am Meeresgrund entdeckte Kanone liefert damit wertvolle Einblicke in die Frühzeit der Schiffsartillerie: “Der Marstrand-Fund repräsentiert einen großen Sprung nach vorn in unserem Wissen über frühe Schießpulverwaffen, ihre Nutzung und Entwicklung”, konstatieren von Arbin und sein Team. So bestätigt die vergleichsweise geringe Größe der Schiffskanone, dass Seeschlachten im 14. Jahrhundert noch deutlich anders abliefen als später: Statt sich aus der Ferne mit Kanonen zu beschießen, wurde die Artillerie primär aus der Nähe als Waffe gegen die Besatzung des gegnerischen Schiffs eingesetzt. “Damals wurden feindliche Schiffe noch ähnlich angegriffen wie Burgen und andere Befestigungen an Land”, erklären die Archäologen.

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Auch beim Material für die Schiffskanonen wurde damals offenbar noch experimentiert, wie chemische Analysen der Marstrand-Kanone ergaben. Denn sie bestand nicht wie später üblich aus Gusseisen oder einer Zinnbronze, sondern aus einer Kupferlegierung mit 14 Prozent Blei und kleineren Beimischungen von Zinn, Antimon und Arsen. “Der hohe Anteil von Blei in dieser Legierung machte das Material allerdings eher ungeeignet für die Kanonenherstellung”, erklären die Forscher. “Denn es machte die Legierung spröde, wodurch sich Risse gebildet hätten.” Wäre diese Schiffskanone häufiger abgefeuert worden, hätte sie demnach explodieren können. “Offenbar waren die negativen Auswirkungen des Bleis im Kanonenmetall damals noch nicht verstanden”, so die Archäologen.

Um mehr über den Kontext der Schiffskanone zu erfahren, wollen von Arbin und seine Kollegen als nächstes versuchen, doch noch Wrackteile des dazugehörenden Schiffs zu finden. Angesichts des Alters und der starken Meeresströmungen am Fundort könnten diese Trümmerteile inzwischen weit verstreut und von Sediment überdeckt sein. “Das Wrack ist wahrscheinlich stark degradiert und zerbrochen, aber wenn wir eine gründliche Durchsuchung der Fundstätte und ihrer Umgebung durchführen, könnten wir noch Trümmer finden”, sagt von Arbin.

Quelle: Schwedischer Forschungsrat; Fachartikel: The Mariner’s Mirror, doi: 10.1080/00253359.2023.2225311

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