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Dem Geheimnis des nackten Riesen auf der Spur

Archäologie & Geschichte

Dem Geheimnis des nackten Riesen auf der Spur
Luftaufnahme des Cerne-Abbas-Riesen. Wirestock/iStock

Er misst etwa 60 Meter und schwingt „erregt“ eine Keule: Was es mit dem rätselhaften Riesen von Cerne Abbas in Südwestengland auf sich hat, beleuchtet nun eine Studie. Demnach stellt das aus dem Frühmittelalter stammende Scharrbild in einer Hügelseite den antiken Helden Herkules dar. Das weithin sichtbare Symbol markierte vermutlich einen Sammelpunkt für angelsächsische Soldaten, die sich auf die Verteidigung der Region gegen eindringende Wikinger vorbereiten sollten, erklären die Wissenschaftler.

Schon lange gibt die berühmte Geoglyphe bei dem kleinen Ort Cerne Abbas in der südwestenglischen Grafschaft Dorset Archäologen und Historikern Rätsel auf. Es handelt sich bei dem Abbild im „Giant Hill“ um ein sogenanntes Scharrbild: Die Linien, die den Umriss der Figur ergeben, wurden durch das Entfernen der Grasnarbe in den Untergrund der Bergflanke geprägt, wodurch der helle Untergrund zum Vorschein kam. Zusätzlich wurden die Furchen mit weißlichem Kalkmaterial befüllt. Sie ergeben das Bild eines Mannes, der mit einer Keule und einem Phallus dargestellt ist.

Lange vermutete man, dass der Cerne-Abbas-Riese ähnlich wie das berühmte Scharrbild des Uffington White Horse aus prähistorischer Zeit stammt. Doch vor etwa drei Jahren lieferte dann eine Altersbestimmung mittels Lumineszenzdatierung ein überraschendes Ergebnis: Das Scharrbild ist demnach erst im frühen Mittelalter entstanden – zwischen 700 und 1110 n. Chr. mit einer gemittelten Zeit von um 900 nach Chr.. Die Darstellung fällt damit in die Ära der angelsächsischen Herrschaft in der Region. Damit blieb allerdings weiterhin unklar, wen der Gigant darstellen sollte und welchen Zweck er erfüllt haben könnte. Dieser Frage haben sich nun Helen Gittos von der University of Oxford und Tom Morcom von der University of Oslo in ihrer Studie gewidmet.

Frühmittelalterliche Herkules-Darstellung

Durch verschiedene Belege untermauern die Historiker die schon früher geäußerte Vermutung, dass es sich um eine Darstellung von Herkules handelt. Zunächst mag die Zuordnung zu dem Helden der heidnischen Mythologie überraschen. „Doch das Interesse an Herkules endete nicht in der Antike. Er blieb während des gesamten Mittelalters eine bekannte kulturelle Figur“, schreiben die Historiker. Wie sie anhand von Beispielen belegen, galt dies besonders im frühen Mittelalter im angelsächsischen Raum. Sie verdeutlichen, dass der Cerne-Abbas-Riese die charakteristischen Markenzeichen des Herkules aufweist.

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Vor allem ist dies die Darstellung der typisch knotigen Keule in der rechten Hand und auch die ausgestreckte Haltung des linken Arms. Wie sie erklären, waren dort einst vermutlich auch die Konturen des Fells abgebildet, das der Held der Sage zufolge von dem Nemeischen Löwen erbeutet hatte. Zudem geben sie Beispiele dafür, dass Herkules auch in anderen Fällen mit einem Phallus dargestellt wurde.

Militärische Landmarke

„Wir können nun ziemlich sicher sein, dass irgendwann im frühen Mittelalter ein gigantisches, sofort erkennbares Abbild des Herkules in diesen Hügel in Dorset gezeichnet wurde. Damit bleibt die Frage: Warum?“, schreibt das Historiker-Duo. Dazu liefern sie nun ebenfalls eine plausible Erklärung: Sie präsentieren Indizien dafür, dass die Herkules-Darstellung einen Sammelpunkt für angelsächsische Soldaten unter einem regionalen Führer markierte.

Dafür sprechen ihnen zufolge die herausragende topographische Lage der Abbildung sowie die Nähe zu wichtigen Verkehrswegen. Aus historischen Quellen geht zudem hervor, dass sich in der Nähe königliche Güter befanden, die eine Versorgung von militärischen Einheiten am Fuße des Giant Hill ermöglichten. Im Frühmittelalter hat es dort auch eindeutig Anlässe zu einem Ruf zu den Waffen gegeben, erklären die Forschenden: Es sind Überfälle der Wikinger in der Region überliefert, die an der nahen Südküste Englands anlandeten.

Abschließend werfen Gittos und Morcom auch Licht auf einen weiteren Teil der Geschichte des Cerne-Abbas-Riesen. Demnach entstand im weiteren Verlauf des Mittelalters ein Kloster am Fuße des Giant Hill. Wie die beiden berichten, identifizierten die dortigen Mönche den Riesen schließlich mit dem von ihnen verehrten Heiligen Eadwold. Dies führte dazu, dass sie die Strukturen des Scharrbildes pflegten, wodurch sie bis heute sichtbar geblieben sind. So wurde Herkules offenbar zu einem christlichen Heiligen umgedeutet. Erschaffen haben die Mönche das Scharrbild aber nicht, betont Morcom: „Die Mönche von Cerne hätten ihren Schutzpatron nicht nackt dargestellt, dennoch waren sie gerne bereit, den Riesen als Abbild von Eadwold für ihre eigenen Zwecke zu nutzen“, so der Historiker.

Quelle: University of Oxford, Fachartikel: Speculum, doi: 10.1086/727992

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