Im September diesen Jahres jährt sich der Überfall auf Polen im Zweiten Weltkrieg zum 70. Mal. Pünktlich zu diesem bitteren Jubiläum startet der Film „Das Massaker von Katyn“ in den deutschen Kinos, der bereits 2008 auf der Berlinale gezeigt wurde und für den Auslandsoskar nominiert war.
Die polnische Regisseurlegende Andrzej Wajda beleuchtet in seinem Alterswerk die Umstände des Massakers von Katyn und verdeutlicht damit auf eindrückliche Weise das besondere Schicksal der polnischen Nation in ihrer jüngeren Geschichte. Im Mittelpunkt des Films steht der Mord an über 22.000 polnischen Offizieren und Zivilisten, der zu Beginn des zweiten Weltkriegs durch sowjetische Soldaten in einem Wald nahe der russischen Ortschaft Katyn verübt wurde. Im polnischen Bewusstsein brannte sich der Ort nicht nur als Sinnbild der menschenverachtenden Vernichtung Polens im Zweiten Weltkrieg ein, er steht auch für das extrem schwierige Verhältnis Polens zu dem sowjetischen „Brudervolk“ in der Nachkriegszeit.
Schon die ersten Szenen des Films „Katyn“ zeigen die beklemmende Situation Polens im Herbst 1939. Auf einer Brücke über die Weichsel stehen sich zwei große Flüchtlingsgruppen gegenüber. Beide fliehen sie vor den über sie hereinbrechenden Kriegshandlungen. Die Menschen auf beiden Seiten der Brücke rufen der anderen Seite zu, man solle umkehren, denn es seien heranrückende Truppen direkt hinter ihnen. Die einen warnen vor den deutschen, die anderen vor den sowjetischen Truppen. Anschließend verlieren sich die einzelnen Gruppen ineinander, ausweglos in ihrer Situation. Diese Lage der Zivilbevölkerung zeigt die perfiden Umstände des Polenfeldzugs, von dem die Handlung des Films ihren Ausgang nimmt. Nachdem Hitler und Stalin sich auf die Einteilung Polens in Interessensgebiete geeinigt hatten, fielen die Deutschen ohne Kriegserklärung von Westen in Polen ein, worauf kurz danach sowjetische Truppen nach Ostpolen vorrückten. Innerhalb kürzester Zeit hörte die polnische Republik auf zu existieren. Sowohl den Deutschen, als auch den Sowjets war es dabei ein Anliegen, den intellektuellen Widerstand gegen die Eroberung Polens zu brechen. Beide Seiten internierten und ermordeten daher eine unvorstellbare Zahl von Mitgliedern der polnischen Elite. Die deutschen nannten es „Vernichtung der polnischen Intelligenz“, in der Sprache der Sowjetunion ging es um die Exekution von „Nationalisten und konterrevolutionären Aktivisten”.
In mehreren Perspektiven erzählt der Film von den Kriegsverbrechen auf beiden Seiten und bedient sich dabei dem Mittel der Darstellung mehrerer persönlicher Schicksale. Da ist zum einen Anna, die mehrere tausend Kilometer mit dem Fahrrad zurücklegt um an eben jener Brücke nach ihrem Mann dem Offizier Andrzej zu suchen. Nach dem Auffinden in einem Kriegsgefangenenlager verweigert er jedoch die noch mögliche Flucht wegen seiner militärischen Verpflichtung und schickt sie zurück nach Krakau. Beide Personen werden daraufhin in ihrer Situation szenisch verfolgt. Anna wie sie mit der kleinen Tochter und anderen Offiziersfrauen im von den Nazis besetzten Krakau ausharrt und auf die Rückkehr ihres Mannes wartet. Andrzej wie er in russischer Kriegsgefangenschaft verbleibt und die dortigen Geschehnisse minutiös bis zu dem Massaker in einem Notizbuch festhält.
In Andrzejs Vater – zum Zeitpunkt des Einmarsches Professor an der Krakauer Universität – wird zwar das Vorgehen der Deutschen bei der Vernichtung polnischer Intellektueller gezeigt, doch zum Großteil richtet sich der Film eher auf die Rolle der Sowjets. Hierzu spielt der Film in verschiedenen Zeitebenen. Während die Situation der gefangenen Offiziere sich erst im Lauf des gesamten Films Stück für Stück konstruiert, widmet sich der Film im Krakauer Schauplatz schon früh dem späteren politischen Umgang mit dem Massaker. Entdeckt wurde das Massaker 1943 von der Wehrmacht während des Ostfeldzugs. Sogleich wurde es propagandistisch gegen die nun bekämpfte Sowjetunion in Polen verwendet und unter der Bevölkerung bekannt gemacht. Anhand mehrerer Schicksale der Witwen von Katyn werden die Umstände der Bekanntmachung und Instrumentalisierung des Massakers durch die Nationalsozialisten dargestellt. Demgegenüber steht anschließend ihre Situation, als Krakau nach der Zurückdrängung der Wehrmacht von der Roten Armee eingenommen wurde. Von da an wurde das der Bevölkerung bekannte Massaker den Nazis angelastet. Die Sowjetunion führte hierfür Beweise auf, welche die Geschehnisse in Katyn von Frühjahr 1940 auf Herbst 1941 verschoben – folglich in eine Zeit, in der Katyn bereits unter deutscher Besatzung stand. Mit einem ungeheuren Propagandaaufwand wurden diese falschen Tatsachen von der sowjetischen Führung aufrecht erhalten und jeder Widerspruch unermüdlich verfolgt.
So fokussiert sich der Film vor allem auf das Leiden der Bevölkerung zu Zeiten der Sowjetunion. Es wird beispielsweise von Witwen der Katyner Opfer erzählt, die nicht das richtige Todesdatum auf die Grabsteine ihrer Männer verzeichnen durften und auch sonst keinerlei Chancen erhielten, mehr über die Todesumstände ihrer Männer zu erfahren. Noch mehr intensiviert wird die Darstellung der russischen Unterdrückung mit einem jungen Kriegsheimkehrer, der bei seinem Kampf gegen die Leugnung der sowjetischen Darstellung des Massakers umkommt.
Zwar zieht die Geschichte des jungen Kriegsheimkehrers zum Ende des Films den erdrückenden Spannungsbogen, der in der finalen detailgenauen Darstellung des Massakers seinen Abschluss findet, fast unnötig in die Länge. Doch es sind genau die vielen Perspektiven des Films, mit denen Andrzej Wajda der Thematik in ihrem Facettenreichtum gerecht wird. Die schwer verdaulichen Schicksale, die so nah an der Lebenswirklichkeit erscheinen, lassen den Zuschauer paralysiert und verwundet zurück. Zu diesem Eindruck trägt zudem die umfassende Veranschaulichung der Situation Polens im Spiegel dieser Schicksale bei. Gerade in der eindrücklichen Darstellung der einzelnen Charaktere überzeugt der mit der ersten Riege polnischer Leinwanddarsteller besetzte Film. Er zeigt nah an den Menschen, wie Polen als Spielball der Mächte im Zweiten Weltkrieg zerrieben wurde und hilft dadurch, das polnische Trauma zu verstehen. Selbst das zum Teil übertrieben aufgetragene nationale Pathos der gefangenen Offiziere, stellt sich unter mildernden Umständen dar, wenn man während des Films vor Augen geführt bekommt, was das Schicksal der polnischen Nation im 20. Jahrhunderts bedeutete.
So ist „das Massaker von Katyn“ ein wichtiges Dokument für die internationale Anerkennung der polnischen Geschichte. Auch hinsichtlich der Aufarbeitung der sowjetischen Einflussnahme in Polen ist der Film ein wichtiger Schritt. Denn Wajdas Film unterstreicht indirekt das noch immer schwierige Verhältnis zwischen Russen und Polen. Dass die Aufarbeitung von russischer Seite bisher eher unzureichend bedient wurde, zeigten auch die Kontroversen, die der Film in Russland auslöste. Dort wurden in der Öffentlichkeit immer noch Zweifel an der sowjetischen Verantwortung an dem Massaker geäußert. Zwar gestand 1990 Michail Gorbatschow die russische Alleinverantwortung an dem Massaker ein, doch bezeichnend für die uneinheitliche Sicht auf die Geschehnisse im heutigen Russland ist, dass die juristische Verfolgung der Täter 2004 von der russischen Militärstaatsanwaltschaft wegen der notwendigen Geheimhaltung der Dokumente eingestellt wurde.