Wie lebten die Menschen in der Kaukasus-Region in der Bronzezeit? Man vermutete bisher, dass sie nomadische Viehhalter waren, die überregionale Distanzen zurücklegten. Einer Studie zufolge ernährten sie sich tatsächlich hauptsächlich von Produkten der Tierhaltung, doch ganz so wanderfreudig waren sie offenbar doch nicht: Hinweise auf die Ernährung dieser Menschen legen nahe, dass ihre Mobilitätsradien kleiner waren als gedacht. Ihre Nahrungsmittel stammten weitgehend aus den Landschaften, in denen ihre Überreste gefunden wurden.
Auf den Hochebenen des Kaukasus und in den nahen Steppen zeugen tausende von Grabhügeln sowie zahlreiche Flachgräberfelder von der Besiedlung der Region im heutigen Südrussland während der Bronzezeit – etwa 3900 bis 1000 v. Chr. Man nahm bisher an, dass es sich um Hirtennomaden gehandelt hat, die möglicherweise eine wichtige Rolle für die Entwickelung Europas ab dem Beginn des 3. Jahrtausends v. Chr. gespielt haben. Die Hänge des Kaukasus und die nördlich anschließende Steppenlandschaft waren hervorragend für die Haltung von Schafen, Ziegen und Rindern geeignet. Man vermutete bisher, dass die Menschen der Region ihre Herden saisonal über große Distanzen bewegten und bei ihren überregionalen Wanderungsbewegungen verschiedene Landschaftszonen durchquerten.
Hoch-mobile Menschen in einer Verbindungsregion?
“Kaukasien war immer eine Brücke, die die vorderorientalischen Zivilisationen mit Europa verband. Zweifellos war der Kaukasus für den Transfer sowohl technischer als auch sozialer Innovationen während der Bronzezeit sehr wichtig“, sagt Svend Hansen vom Deutschen Archäologischen Institut in Berlin. Inwieweit die Menschen dieser Region allerdings tatsächlich umfangreiche Wanderungen absolvierten und wie sie sich genau ernährten, blieb bislang unklar. In diesem Zusammenhang haben Hansen und seine internationalen Kollegen den bronzezeitlichen Kaukasus-Bewohnern nun eine Studie gewidmet.
Die Ergebnisse basieren auf der Untersuchung von menschlichen Überresten aus Gräbern von acht Fundplätzen sowie gemeinsam mit ihnen entdeckten Tierknochen. Sie stammen aus einer Zeit zwischen dem 5. Jahrtausend v. Chr. und der Zeit der Sarmaten im 1. Jahrtausend v. Chr. Die Wissenschaftler unterzogen die Funde einer Analyse der stabilen Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff. Die Ergebnisse lassen durch Vergleiche Rückschlüsse auf die Nahrungsmittel und ihre Herkunft zu, die Lebewesen einst verzehrt haben, erklären die Wissenschaftler. „Diese Knochen und Zähne sind archäologische Schätze“, sagt Co-Autor Kurt Alt von der Universität Basel. „Sie sind der Schlüssel für ein tiefgreifendes Verständnis der Wirtschaftsweise und der damit verbundenen Mobilitätsmuster.“
Kleinere Mobilitätsradien als gedacht
Die Berge, das Vorgebirge und die Steppenlandschaften des weiträumigen Untersuchungsgebiets zeichnen sich durch sehr unterschiedliche Umweltbedingungen aus, sagen die Forscher. Wie sie erklären, sind mit diesen Merkmalen spezielle Muster der Isotopenzusammensetzungen verbunden. So konnten sie auch spezifische regionale Unterschiede der Isotopen in den möglichen Nahrungsmitteln feststellen. Dadurch waren wiederum Vergleiche mit den Ergebnissen bei den Funden sowie Rückschlüsse über Art und Ursprung der Nahrungsmittel möglich.
Wie sie berichten, bestätigten die Daten eine größtenteils auf Tierhaltung basierende Wirtschaftsweise, bei der Fleisch, Milch und Milchprodukte von Haustieren, insbesondere von Schafen und Ziegen, genutzt wurden. Die Ergebnisse der Isotopenanalysen sind allerdings nicht nur durch den Verzehr dieser Produkte zu erklären. Stattdessen liegt nahe, dass auch andere Nahrungsmittel, wie Fisch sowie vielfältige pflanzliche Lebensmittel zur Ernährung der Menschen beitrugen.
Die Isotopenmuster weisen dabei darauf hin, dass die Nahrungsmittel weitgehend aus den Gebieten und Lebensräumen stammten, in denen sich die jeweiligen Fundorte der sterblichen Überreste befanden, schreiben die Forscher. Mit anderen Worten: Die damaligen Menschen nutzten vorrangig Nahrungsquellen aus den Landschaften, in denen sie später auch begraben wurden. Das legt wiederum nahe: Ihre Mobilitätsradien waren kleiner als gedacht, schreiben die Wissenschaftler. „Es handelt sich somit um einen Beitrag zur kritischen Hinterfragung des Paradigmas der umfangreichen Wanderungen“, ordnet Hansen die historische Bedeutung der Untersuchung ein.
Quelle: Deutsches Archäologisches Institut, Fachartikel: PLoS ONE , doi: 10.1371/journal.pone.0239861