Das längste Aquädukt der Geschichte im Visier: Archäologen berichten über Hinweise auf die aufwändige Instandhaltung des einst 426 Kilometer langen Wasserversorgungssystems von Konstantinopel. Die in der Spätantike erbaute Anlage wurde demnach noch wenige Jahrzehnte vor dem Ende ihrer Nutzung im 12. Jahrhundert von Kalkablagerungen gesäubert. Vermutlich ermöglichten doppelte Wasserkanäle in speziellen Bereichen der Konstruktion auch Wartungsarbeiten bei laufendem Betrieb, berichten die Wissenschaftler.
Sie gehören zu den beeindruckendsten Bauwerken der Antike: Noch heute kann man an einigen Orten des einstigen Römischen Reichs monumentale Reste von Aquädukten bestaunen. Die Langstrecken-Wasserleitungen waren zwar keine Erfindung der Römer, doch in ihrem Herrschaftsbereich avancierten sie zu einem Markenzeichen ihrer Zivilisation. “Die hochentwickelte Wasserversorgung war eine revolutionäre technische Leistung der Römer – die Aquädukte transportierten Wasser über große Distanzen in die Städte, zu den Bädern oder zu den Bergwerken”, sagt Gül Sürmelihindi von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Es sind mehr als 2000 römische Langstrecken-Aquädukte bekannt. Im Fokus von Sürmelihindi und ihren Kollegen stand dabei nun das spektakulärste: Es diente der Wasserversorgung von Konstantinopel – dem heutigen Istanbul in der Türkei.
426 Kilometer Länge
Das gewaltige Aquäduktsystem wurde nötig, nachdem der römische Kaiser Konstantin 330 n. Chr. Konstantinopel zur neuen Hauptstadt des Reiches erklärt hatte. Strategisch lag die Stadt zwar sehr günstig, doch ausreichende Süßwasservorräte waren vor Ort nicht verfügbar. Um die Versorgung zu gewährleisten, wurde deshalb ein Aquäduktsystem gebaut, das Wasser aus weit im Westen liegenden Quellen heranführte. Um mit dem Bevölkerungswachstum mitzuhalten, wurde die Anlage im 5. Jahrhundert noch einmal massiv erweitert: Mit einer Gesamtlänge von 426 Kilometern wurde es dadurch schließlich zum längsten Aquädukt-System der Antike. Die Anlage setzte sich dabei aus gemauerten Kanälen, 90 großen Brücken sowie mehreren Tunneln zusammen.
Um Einblicke in die Nutzung der monumentalen Anlage zu gewinnen, haben Sürmelihindi und ihr Team in Überresten des Leitungssystems verschiedener Bereiche die Ablagerungen untersucht. Dabei handelt es sich um Kalkstein, der sich durch den Wasserfluss auf den Strukturen gebildet hat. Anhand der Dicke der Schichten sind Rückschlüsse auf die Nutzung möglich, erklären die Forscher. Aus Überlieferungen geht in diesem Zusammenhang hervor, dass die Anlage noch weit in die byzantinische Zeit hinein genutzt wurde: Insgesamt war sie wohl über 700 Jahre in Betrieb – zumindest bis ins 12. Jahrhundert hinein. Somit wären dicke Kalkablagerungen in den wasserführenden Teilen zu erwarten gewesen.
Regelmäßige Wartung bis zum Ende
Doch wie die Forscher berichten, stießen sie bei ihren Untersuchungen in allen Bereichen der Anlage auf eine überraschend dünne Kalkschicht. Sie entspricht ihren Analysen zufolge einer Ablagerungsdauer von nur 27 Jahren. Obwohl das Aquädukt spätrömischen Ursprungs ist, stammt der Kalk in den Kanälen demnach nur aus der mittelbyzantinischen Epoche. Daraus schließen die Wissenschaftler: “Die komplette, 426 Kilometer lange Wasserleitung muss in der Ära des Byzantinischen Reichs gewartet und von den Ablagerungen gereinigt worden sein, noch kurz bevor der Betrieb aufgegeben wurde”, sagt Sürmelihindi. Vermutlich wurden die Ablagerungen auch zuvor regelmäßig entfernt, da sie den Wasserfluss stören konnten, erklären die Archäologen.
Dies muss mit einem großen Aufwand verbunden gewesen sein, betonen Sürmelihindi und ihre Kollegen. Vermutlich diente ihnen zufolge eine auffällige Teilstruktur der Anlage diesen Instandhaltungsarbeiten: Im zentralen Bereich des Aquäduktsystems gab es einen etwa 50 Kilometer langen Abschnitt mit einer doppelten Wasserleitung – ein Kanal lag über dem anderen – auch über zweistöckige Brücken hinweg. “Wahrscheinlich wurde dieses System für die Reinigungs- und Wartungsarbeiten errichtet”, sagt Sürmelihindi. So war wohl eine ununterbrochene Wasserversorgung der Stadtbevölkerung möglich, erklären die Wissenschaftler.
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Fachartikel: Geoarchaeology. Doi: 10.1002/gea.21853