Wie haben Ärzte vor 500 Jahren gearbeitet? Wie haben sie Krankheiten erkannt und behandelt? Und wie sind sie mit Patienten umgegangen? Das verraten die handschriftlichen Notizen des im 16. Jahrhundert praktizierenden Arztes Georg Handsch. Ein Historiker der Universität Würzburg hat diesen Quellenschatz der Medizingeschichte nun ausgewertet und teils überraschende Einblicke in den Praxisalltag eines Mediziners der Renaissance gewonnen.
Die medizinischen Theorien der Renaissance – der Zeit vom 15. bis zum frühen 17. Jahrhundert – sind weitestgehend bekannt. Von ihnen zeugen viele wissenschaftliche Schriftstücke aus den damaligen Universitäten. Unter Ärzten und Heilkundigen war demnach damals die Vier-Säfte-Lehre wissenschaftlicher Konsens. Nach dieser galt es, die vier Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle – im Gleichgewicht zu halten. War ihre Balance gestört, wurde der Mensch krank und es galt das Gleichgewicht wiederherzustellen, so die Theorie.
Einzigartige Einblicke in die Arbeit eines Renaissancearztes
Doch wie sah die medizinische Praxis in der Renaissance aus? Das hat Michael Stolberg, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, anhand eines ganz besonderen Quellenschatzes untersucht: den Notizen des Georg Handsch. Dieser Mediziner des 16. Jahrhunderts war keine Koryphäe seiner Zeit, brachte es aber nach dem Studium in Padua und Prag immerhin zum Leibarzt von Ferdinand II. von Tirol. Während seiner Zeit als Arzt fertigte er handschriftliche Notizen über seinen Arbeitsalltag als Arzt in der Renaissance an, von denen mehr als 4000 Seiten in einer Wiener Bibliothek erhalten blieben.
Diese Aufzeichnungen hat Stolberg nun entdeckt und ausgewertet. Zusätzlich suchte er gezielt nach weiteren Mediziner-Nachlässen und Manuskripten. Entstanden ist daraus ein Buch, das nicht nur neue Erkenntnisse über die medizinische Praxis in der Renaissance liefert, sondern auch einen Fokus legt auf die Beziehungen zwischen Arzt, Patienten und deren Angehörigen in der damaligen Zeit. „In meinem Buch geht es nicht um medizinische Theorien. Mir geht es vor allem um die Alltagspraxis“, erklärt Stolberg. Stolberg nennt Handschs Manuskripte einen „einzigartigen Schatz“.
Krankheiten aus dem Körper befördern
Die Notizen des Renaissance-Arztes zeigen unter anderem, dass die medizinische Praxis mit der damals gängigen wissenschaftliche Theorie weniger gemein hatte als bisher angenommen. “Unsere Vorstellung davon, wie Ärzte damals Krankheiten verstanden haben, musste ich grundlegend revidieren. Im Vordergrund stand nicht das Säftegleichgewicht, sondern das Bemühen, die Krankheitsstoffe aus dem Körper zu entfernen“, sagt Stolberg. Die wesentlichen Therapien, die Handsch und seine Renaissance-Kollegen anwandten, waren daher auch entleerende Verfahren. Sie sollten die Krankheitsstoffe nach draußen befördern.
„Das waren an erster Stelle Abführ- und Brechmittel“, berichtet Stolberg. Außerdem Mittel, die den Schleim aus Nase und Hirn lösten, die Menstruation förderten, oder auch Schwitzbänke. Auch der Aderlass durfte damals nicht fehlen. Die Blutentleerung fand dabei „nah an der Krankheit“ -an der Körperstelle, die die Beschwerden verursachte. Bei Problemen mit dem Kopf gab es den Aderlass zum Beispiel an der Schläfe. Eine weitere beliebte Methode war das blutige Schröpfen mit warmen Gefäßen, die auf die angeritzte Haut aufgesetzt wurden und beim Abkühlen Blut ansaugten.
Enge Beziehung zwischen Arzt und Patient
Ein anderer zentraler Punkt in den Aufzeichnungen des Renaissance-Arztes Handsch betrifft die Beziehung von Arzt und Patient. Diese war oft enger und auch verständnisvoller als bislang vermutet. Handsch beschrieb in seinen Notizen viele Beispiele dazu, wie er und seine Kollegen ihren Patienten und deren Angehörigen ein Krankheitsbild und die dazugehörige Behandlung erklärten. Für ihn war es zudem wichtig zu sehen, wie er mit Patienten und Angehörigen umgehen sollte. Er notierte beispielsweise ihre Reaktionen auf seine Gespräche. Daraus geht hervor: Viele Mediziner sprachen damals vorwiegend negative Prognosen zur Genesung aus – und wurden bei Heilungen dann umso mehr verehrt. Handsch dagegen tat dies oft nicht. „Er wollte ihnen offenbar den Schrecken einer Prognose ersparten und fiel damit oft auf die Nase“, so Stolberg.
Zwei bis drei Patienten am Tag waren laut Stolberg für die akademischen Ärzte der Renaissance die Regel. „Man kann dabei sehr gut sehen, dass die Ärzte damals Zeit hatten für ihre Patienten“, erklärt der Medizinhistoriker. Und wenn es sein musste, sprangen viele Ärzte über ihren Schatten und hatten ein enges Verhältnis zu Laienheilern und zur „Volksmedizin“. Kräutermedizin wurde daher auch aus Erfahrung genutzt – selbst wenn man nicht wusste, warum es gegen diese oder jene Krankheit half.
Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg; Publikation: Gelehrte Medizin und ärztlicher Alltag in der Renaissance von Michael Stolberg, De Gruyter Oldenbourg, doi: 10.1515/9783110707380