Mehr als 240 Millionen Menschen im Afrika südlich der Sahara sprechen heute eine der mehr als 500 Bantu-Sprachen. Jetzt zeigt eine Studie, dass sich ihre Vorfahren deutlich früher als gedacht aus dem Ursprungsort dieser Populationen in Westafrika ausgebreitet haben. Dabei durchquerten diese Bantu-Urahnen vor rund 4400 Jahren selbst den dichten Dschungel Zentralafrikas, obwohl man dies aufgrund ihrer traditionellen Lebensweise bisher für unmöglich oder zumindest sehr unwahrscheinlich hielt.
Ursprünglich lebten die Vorfahren der Bantu-sprechenden Populationen nur in einem kleinen Gebiet Westafrikas, nahe der heutigen Grenze zwischen Nigeria und Kamerun. Inzwischen nehmen Bantu-sprechende Kulturen jedoch mehr als neun Millionen Quadratkilometer im Afrika südlich der Sahara ein und prägen die sprachliche, wirtschaftliche und kulturelle Landschaft vieler afrikanischer Länder. Diese enorme Expansion von Bantu-Sprachen sprechenden Menschen stellte daher eine tiefgreifende Umwälzung in der afrikanischen Kulturgeschichte dar.
Wann begann die Expansion der Bantu?
Bisher war jedoch strittig, wann diese Bantu-Expansion stattgefunden hat und über welche Routen. Denn anders als viele Jäger-und-Sammler-Völker waren die frühen Bantu bereits sesshafte Bauern, für die der gewaltige zentralafrikanische Regenwald einen wenig geeignete Lebensraum darstellte. „Man ging davon aus, dass der dichte Regenwald den Transport und die Pflege von Agrarprodukten und Nutztieren, die für die Bantu-Expansion charakteristisch waren, sehr erschwert hätte”, erklärt Co-Autor Damián Blasi vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Hinzu kam, dass die Bantu vor allem trockenangepasste Nutzpflanzen wie Fingerhirse, Perlhirse und Kuhbohne anbauten, die im feuchten Regenwaldklima nur schlecht gedeihen würden.
Unter anderem deshalb gingen viele Wissenschaftler bisher davon aus, dass die Ur-Bantu erst im Zuge eines Klimawechsels vor rund 3000 bis 2500 Jahren nach Süden migrierten. Damals wurde das Klima trockener und eine rund 400 Kilometer breite Savannenzone verband den Nord- und Südrand des Regenwaldgürtels. Durch diesen Korridor könnten die frühen Bantu daher gezogen sein, ohne dichten Regenwald durchqueren zu müssen. Es gibt aber auch Hypothesen, nach denen die Bantu-Expansion schon vor dieser Zeit begonnen haben muss. Um mehr Klarheit zu schaffen, haben Blasi, Erstautor Ezequiel Koile vom MPI für evolutionäre Anthropologie und ihre Kollegen eine neue Methode genutzt, um die Bantu-Expansion zu rekonstruieren.
Stammbaum der Bantu-Sprachen spricht für frühe Migration
Für ihre Studie analysierte das Forschungsteam linguistische Daten zu mehr als 400 Bantu- und anderen eng verwandten Sprachen. Unter Verwendung neuartiger computergestützter Methoden kartierten sie Ähnlichkeiten und Unterschiede der verschiedenen Bantu-Sprachen, ähnlich wie Genetiker die Mutationen in verschiedenen Genomen untersuchen. Dies ermöglichte es dem Team, den geografischen und zeitlichen Stammbaum der Bantu-Sprachen zu rekonstruieren und so zu ermitteln, wann welche Bantu-Völker in den verschiedenen Regionen vorkamen. „Es ist wirklich aufregend, dass es uns mit diesen neuen Methoden nun gelungen ist, die bisher umfassendste Analyse der Bantusprachen zu erstellen”, sagt Koiles Kollege Simon Greenhill. “Sie versetzen uns in die Lage, in langjährige Debatten über die größten Ausbreitungsereignisse menschlicher Populationen Klarheit zu bringen.”
Die Analysen ergaben: Die Ausbreitung früher Bantu-sprechender Menschen aus ihrem Ursprungsgebiet begann deutlich früher als allgemein angenommen. Sie müssen schon vor mehr als 4000 Jahren vom Golf von Guinea nach Süden gezogen sein – lange bevor sich der Savannenkorridor durch den dichten Regenwald öffnete. “Dies stützt die zunehmenden Indizien dafür, dass tropische Regenwälder nicht notwendigerweise eine Barriere für die Ausbreitung Landwirtschaft betreibender Populationen sein müssen”, erklären die Wissenschaftler. Sie vermuten, dass die frühen Bantu sich während ihrer Expansionsphase in gewissem Maße an die neue Umgebung anpassten und ihre Lebensweise zumindest in Teilen umstellten. Ihrer Ansicht nach könnte dies auch für andere Migrationsbewegungen früher Bauernkulturen gelten. „Natürlich spielt Ökologie eine große Rolle, ist aber nicht schicksalsbestimmend“, sagt Mitautor Russell Gray vom MPI für evolutionäre Anthropologie.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft; Fachartikel: Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2112853119