Im ehemaligen Tagebau von Schöningen in Niedersachsen haben Archäologen die ältesten menschlichen Fußspuren Deutschlands entdeckt. Die drei Abdrücke sind rund 300.000 Jahre alt und stammen höchstwahrscheinlich von zwei jugendlichen und einem erwachsenen Vertreter des Homo heidelbergensis. Diese Frühmenschen gelten als evolutionäres Bindeglied zwischen dem Homo erectus und dem Neandertaler. Zusammen mit den am Fundort erhaltenen Tierspuren geben die Abdrücke Einblick in die Lebensumstände und Umwelt dieser Frühmenschen.
Der im östlichen Niedersachsen gelegene ehemalige Braunkohletagebau Schöningen ist eine der bedeutendsten prähistorischen Fundstätten in Deutschland. Schon seit Beginn der Abbaggerungen im Jahr 1979 führten dort Archäologen Rettungsgrabungen durch, um mögliche Relikte vor der Zerstörung durch die Schaufelradbagger zu bergen. Damals wurden zunächst vor allem Fundstücke aus der Jungsteinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit entdeckt. Nachdem die Bagger in den 1990er Jahren auch tiefere Schichten angruben, stießen die Wissenschaftler auch auf Funde aus der Altsteinzeit. Unter diesen sind mehrere 300.000 Jahre alte Wurfspeere aus Holz sowie hölzerne Wurfstücke, Reste von Feuerstellen und Steinwerkzeuge aus dieser Zeit. 2022 wurden zudem Bearbeitungsspuren auf Knochen von Höhlenbären entdeckt, die vom Abziehen des Fells stammen und die das älteste Zeugnis einer Fellnutzung durch Frühmenschen sind.
Die weltweit einzigartigen Funde aus Schöningen werden dem Homo heidelbergensis zugeschrieben, einem mutmaßlichen Bindeglied zwischen dem Homo erectus und dem Neandertaler. Die ersten und ältesten Knochen dieser nur in Europa vorkommenden Menschenart wurden 1907 in einer Sandgrube bei Heidelberg entdeckt – daher der Name dieses Homininen. In Schöningen hat man zwar noch keine Knochen dieses Frühmenschen gefunden, dennoch sprechen Alter und Machart der Waffen und Werkzeuge dafür, dass sie von diesem Frühmenschen stammen.
Spuren im urzeitlichen Uferschlamm
Jetzt hat ein Team um Flavio Altamura von der Universität Tübingen im Südwesten des ehemaligen Tagebaus weitere Spuren dieses Frühmenschen entdeckt – buchstäblich. Dort waren schon vor einigen Jahren zahlreiche fossile Tierspuren aufgefallen, die man aber noch nicht systematisch untersucht hatte. Die fossilen Spuren sind bis heute erhalten geblieben, weil dort vor rund 300.000 Jahren das schlammige Ufer eines wenige Kilometer langen und einige hundert Meter breiten Sees lag. Tiere, die dort entlangliefen oder zum Trinken ans Wasser kamen, hinterließen in diesem Schlamm ihre Abdrücke. Später trocknete dieser Schlamm ein und wurde von Sand überdeckt, wodurch die Spuren konserviert blieben.
Seit 2018 haben Altamura und seine Kollegen diese über mehrere Dutzend Quadratmeter verteilten Abdrücke analysiert und kartiert. Dabei entdeckten sie zahlreiche Abdrücke von Hirschen, Waldelefanten und Nashörnern – und einige nicht von Tieren stammende Spuren: “Unter den Abdrücken befinden sich auch drei Spuren, die mit Fußabdrücken von Homininen übereinstimmen”, berichtet Altamura. “Mit einem Alter von etwa 300.000 Jahren sind sie die ältesten in Deutschland bekannten menschlichen Spuren und stammen wahrscheinlich von Homo heidelbergensis.”
Einblick in urzeitliche Lebenswelt
Form und Größe der Fußabdrücke legen nahe, dass diese von einem erwachsenen und zwei jugendlichen Frühmenschen stammen könnten. Damit liefern sie eine Art Momentaufnahme des steinzeitlichen Alltags und des sozialen Verhaltens dieser prähistorischen Menschenart. „Es handelt sich aufgrund der Spuren auch von Kindern und Jugendlichen wohl eher um einen Familienausflug als um eine Gruppe erwachsener Jagender“, erklärt Altamura. Der Homo heidelbergensis hielt sich vermutlich am steinzeitlichen See auf, weil dieser Wasser, Fisch und eine reiche Pflanzenwelt bot. „Je nach Jahreszeit waren rund um den See Pflanzen, Früchte, Blätter, Triebe und Pilze verfügbar”, so Altamura.
Die menschlichen Fußabdrücke sind zudem von verschiedenen Tierspuren umgeben. Unter ihnen sind die Abdrücke eines Europäischen Waldelefanten – des größten Landtiers der damaligen Zeit. „Die von uns entdeckten Elefantenspuren in Schöningen erreichen eine beachtliche Länge von 55 Zentimetern“, erläutert Grabungsleiter Jordi Serangeli von der Universität Tübingen. „Eine Spur stammt zudem von einem Nashorn – Stephanorhinus kirchbergensis oder Stephanorhinus hemitoechus – und ist der erste Fußabdruck dieser Art aus dem Pleistozän, der in Europa gefunden wurde.” Der Fund solcher prähistorischer Tier- und Menschenspuren liefert damit wertvolle Informationen über die Lebenswelt zur Zeit des Homo heidelbergensis. Entsprechend wichtig sei es, diese Relikte der Vergangenheit zu erforschen und zu konservieren.
„Die neuen Erkenntnisse zeigen zum wiederholten Male die herausragende Bedeutung der Fundstelle Schöningen, welche bereits durch spektakuläre Funde, wie die berühmten neun Wurfspeere, eine Stoßlanze, zwei Wurfstöcke oder das nahezu vollständiges Skelett eines eurasischen Waldelefanten, bekannt ist”, kommentierte Falko Mohrs, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur, die neuen Entdeckungen.
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen; Fachartikel: Quaternary Science Reviews, doi: 10.1016/j.quascirev.2023.108094