Ein Grabhügel am Ufer des Euphrat in Nordsyrien könnte eines der ältesten Kriegsdenkmäler der Welt enthalten. Denn in diesem kegelförmigen, mit weißem Gips überzogenen Hügel wurden vor 4300 Jahren offenbar die Gebeine von Soldaten bestattet, die in einer Schlacht fielen. Dabei wurden Krieger, die auf Streitwagen im Einsatz waren, mit ihren Pferden und Helfern bestattet, Fußsoldaten mit Steinschleudern erhielten eine eigene Ecke im Grabhügel.
Auf Stelen aus dem Mesopotamien des dritten Jahrtausends vor Christus wurden mehrfach Abbildungen und Inschriften gefunden, die eine spezielle Art der Massenbegräbnisse nach einem Krieg darzustellen scheinen: In ihnen sind Tote in Grabhügeln säuberlich übereinander geschichtet. Weil erklärende Beschreibungen fehlten, blieb allerdings unklar, ob es sich bei diesen Toten um Massengräber besiegter Feinde handelte oder aber um eine Bestattung der eigenen gefallenen Soldaten.
Grabhügel der ungewöhnlichen Art
Jetzt liefert die Untersuchung eines Grabhügels am Ufer des Euphrat in Syrien neue Erkenntnisse dazu. Bereits in den 1990er Jahren hatten Archäologen dort in der Nahe des Siedlungskomplexes Banat/Bazi einen auffallend kegelförmigen, mit weißen Gipsschichten bedeckten Hügel entdeckt. Erste Ausgrabungen enthüllten, dass im Inneren des 22 Meter hohen und rund 100 Meter breiten Hügels “Tell Banat North” mehrere Tote in drei verschiedenen Phasen bestattet worden waren. Während die ersten beiden, älteren Bauphasen aus mehreren einzelnen Gräbern bestehen, die irgendwann von einem gemeinsamen Hügel überwölbt worden waren, ist dies bei der jüngsten, aus der Zeit 2450 bis 2300 v.Chr. stammenden Phase nicht der Fall.
“Dieses Stadium unterscheidet sich sowohl in seiner äußeren Form wie in seinem Inhalt”, berichten Anne Porter von der University of Toronto und ihre Kollegen. Denn diese äußere, auf die alte Gipsoberfläche aufgeschüttete Schicht des Grabhügels bestand ursprünglich aus einen Meter breiten und 50 Zentimeter hohen Stufen, die dem gesamten Ensemble das Aussehen einer Stufenpyramide gaben. In diese Schicht eingebettet wurden zahlreiche menschliche Gebeine. “Sie wurden direkt auf die Erde gelegt, ohne spezielle Bedeckung oder Markierung”, so das Team. Dennoch zeugt die Lage dieser Knochen und Knochenfragmente von einer gewissen Ordnung und absichtsvollen Anordnung.
In einer Ecke die Besatzung von Streitwagen
Um was für Tote es sich handelt und warum sie auf diese ungewöhnliche Weise bestattet wurden, haben Porter und ihre Kollegen nun näher untersucht. Dafür unterzogen sie 18 der 22 identifizierten Individuen und sie begleitenden Objekte einer genaueren anatomischen Analyse. Sie ergaben, dass es sich bei nahezu allen Toten um männliche Jugendliche oder junge Erwachsenen handelte. Diese lassen sich in zwei getrennte Gruppen aufteilen. Im nordwestlichen Teil des Grabhügels sind jeweils die Überreste eines Erwachsenen, eines Kindes sowie die Relikte eines Pferdes zusammen bestattet, wie die Archäologen berichten. Die Pferde gehörten dabei zu einer Rasse, die in Mesopotamien vor allem für das Ziehen von Kutschen eingesetzt wurde.
Wie Porter und ihre Kollegen erklären, spricht einiges dafür, dass es sich bei diesen paarweise bestatteten Individuen jeweils um die Besatzung eines mesopotamischen Streitwagens handelte. “Solche Kriegswagen, wie sie auch auf der berühmten Standarte von Ur abgebildet sind, wurden typischerweise von Teams aus zwei Personen gefahren”, berichten die Archäologen. Während der Fahrer lenkte und im Fahren vermutlich auch Waffen einsetzte, diente die zweite, leichtere Person als eine Art mobiles Gegengewicht: Sie sprangen auf und lehnten sich nach hinten, um den Schwerpunkt so zu verlagern, dass er beispielsweise enge Wendungen vollführen konnte. Angesichts dieser körperlich anspruchsvollen und viel Geschick erfordernden Aufgabe liege es nahe, dass oft Jugendliche diese Rolle einnahmen, erklären Porter und ihr Team. Das könnte erklären, warum die Paare im Grabhügel immer aus einem Erwachsenen und einem Jugendlichen plus Pferd bestanden.
…in der anderen die Fußsoldaten
In der südlichen Ecke des Grabhügels fehlen die Pferdeknochen, dafür sind die menschlichen Überreste häufig mit geometrisch geformten Steinpellets vermischt. “Solche bikonischen Pellets wurden zuvor noch nie in Gräbern aus dieser Ära gefunden, wohl aber an einem Toreingang der nahegelegenen Siedlung”, wie die Archäologen berichten. “Die überzeugendste Interpretation dieser bikonischen Pellets im syrischen Kontext ist ihr Einsatz als Projektil für Steinschleudern. Mit diesen Schleudern konnten die Soldaten einen ganzen Hagel von Steinen auf ihre Gegner niederregnen lassen.”
Das aber bedeutet: “Die sich aus diesen Funden ergebenden Muster deuten darauf hin, dass die in diesem Monument bestatteten Individuen nicht nur an einer Schlacht teilnahmen, sondern dies in einer stark formalisierten Art taten: Sie waren Teil einer organisierten Armee, die sich in Streitwägen und Fußsoldaten gliederte”, so das Team. Die sorgfältige Anordnung und die räumliche Trennung der Überreste spreche dagegen, dass es sich hier um die Relikte besiegter Feinde handelte, Stattdessen sehen Porter und ihre Kollegen den Grabhügel von Tell Banat North eine als eine Art Gedenkstätte, mit der gefallene Soldaten des eigenen Heeres geehrt wurden. Dafür wurde ihre Knochen wahrscheinlich nach der Schlacht vom Schlachtfeld aufgelesen und dann in diesem Monument zur letzten Ruhe gebettet. Das Hügel von Tell Banat könnte damit eines der frühesten Kriegerdenkmäler der Weltgeschichte sein.
Quelle: Antiquity, doi: 10.15184/aqy.2021.58