Das Kolosseum in Rom war einst das größte Amphitheater der Welt, doch im Jahr 443 wurde es den Überlieferungen nach durch ein schweres Erdbeben stark beschädigt. Jetzt könnten Forscher dieses Erdbeben und seine Quelle identifiziert haben. Demnach ging das Beben von der gleichen tektonischen Verwerfung im Apennin aus, die 2016 die schweren Erdbeben in Mittelitalien verursachte.
Italien ist tektonisch kein sonderlich ruhiger Ort – im Gegenteil. Schon seit Jahrtauenden bebt in dieser von Verwerfungen und Plattenbewegungen geprägten Region immer wieder die Erde. Zuletzt zeigte sich dies im Jahr 2016 auf dramatische Weise: Gleich dreimal wurde Mittelitalien von starken Erdbeben der Magnitude 6 und höher erschüttert. Durch die Bebenserie starben mehr als 300 Menschen und tausende Häuser wurden beschädigt.
Mount-Vettore-Verwerfung im Visier
Inzwischen ist klar, dass die Erdbeben von 2016 alle drei von derselben tektonischen Verwerfung ausgelöst wurden. Diese Mount-Vettore-Störung durchzieht den Gebirgszug des Apennin von Südwesten nach Nordosten, galt aber lange als inaktiv. “Ihre plötzliche Reaktivierung, die nicht von Vorbeben angekündigt wurde, hat die Menschen und auch die Wissenschaftler daher unvorbereitet getroffen”, erklären Paolo Galli von der Behörde für Zivilschutz in Rom und seine Kollegen.
Um mehr über das vergangene und möglicherweise zukünftige Verhalten dieser Verwerfung zu erfahren, haben die Seismologen nun den Untergrund entlang der Störung näher untersucht.
Dank der bei den Beben 2016 aufgerissenen Bruchstellen konnten sie Hinweise auf die vergangene Seismizität sammeln, die zuvor nicht zugänglich waren. Durch Probegrabungen fanden die Forscher Indizien für mehrere Zeitintervalle, in denen der Untergrund durch ein Beben aufgewühlt worden war.
Sechs große Beben – eines davon in spätrömischer Zeit
Es zeigte sich: Die Mount-Vettore-Verwerfung war auch früher schon alles andere als inaktiv. “Die Daten sprechen für sechs Ereignisse in den letzten 9000 Jahren”, berichten Galli und sein Team. Neben dem Beben von 2016 gab es demnach noch fünf frühere mit ähnlicher Stärke. Im Schnitt folgten diese Ereignisse mit einer Wiederkehrperiode von rund 1800 Jahren aufeinander, wie die Forscher herausfanden. Insofern hätten die Beben von 2016 eigentlich keine Überraschung sein dürfen.
Das historisch Spannende jedoch: Die tektonische Verwerfung im Apennin könnte auch der Ursprung des Bebens gewesen sein, dass in der Spätantike das Kolosseum und andere Bauten in Rom beschädigte. “Das letzte, wahrscheinlich besonders schwere Erdbeben ereignete sich in spätrömischer Zeit, möglicherweise im Jahr 443”, berichten Gallli und seine Kollegen. Die Magnitude dieses Ereignisses könnte ausgereicht haben, um damals selbst im mehr als hundert Kilometer entfernten Rom schwere Schäden anzurichten.
Endgültig bewiesen ist damit zwar noch nicht, dass die Mount-Vettore-Störung schuld an der Beschädigung des Kolosseums hatte. Die neuen Daten von Galli und seinem Team legen es aber zumindest sehr nahe, dass die instabile Verwerfungsregion im Apennin damals das berühmteste Bauwerk des römischen Reiches ins Wanken brachte.
Quelle: Nature News, Fachartikel: Tectonics, doi: 10.1029/2018TC005326