„Die Unterdrückung tatsächlicher und vermeintlicher Gegner der SED ist ein integraler Bestandteil der DDR-Geschichte. So war die Staatspartei seit der sowjetischen Besatzungsherrschaft auf den Einsatz politischer Gewalt angewiesen, um ihre Minderheitenherrschaft zu errichten bzw. abzusichern.“ Dieses Fazit ziehen Markus Mirschel und Samuel Kunze in ihrer sehr empfehlenswerten Darstellung der ostdeutschen Diktatur. Sie zeigen, wie das SED-Regime in den ersten Jahren Gestalt annahm, sich dann durch massiven Druck auf die Bevölkerung stabilisierte, sich schließlich immer größerer, weiterhin staatlich unterdrückter Unzufriedenheit gegenübersah und schlussendlich kollabierte.
Die Verfasser schildern im Wesentlichen chronologisch in vier großen Themenblöcken Aspekte des Unterdrückungsregimes in den 1950er Jahren (Verfolgung der „Großbauern“ im Zuge der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft), in den 1960er Jahren (Disziplinierung unangepasster Jugendlicher), in den 1970er Jahren (Bekämpfung von Ausreiseantragsstellern) und schließlich in den 1980er Jahren (versteckte Beeinflussung und Verfolgung der politischen Opposition).
Auf eine thematische Einführung folgt jeweils eine Erzählung in Quellen. Sie unterstreichen eindrücklich den Unrechtscharakter des SED-Regimes, wenn etwa der Umgang mit „Großbauern“ oder mit Ausreiseanträgen oder die Versuche, die politische Opposition zu unterwandern und zu „zersetzen“, geschildert werden. Mirschel und Kunze belegen, dass allein der von der SED gelenkte Staat entschied, wer seine Gegner waren. Schon der Unwille, sich zu einer bestimmten Politik „zu bekennen“ oder auch nur daran mitzuwirken, genügte, um zum „Feind“ erklärt und beruflich drangsaliert, verhaftet und verurteilt zu werden.
Die Unterdrückungsmaßnahmen wandelten sich während der 40-jährigen DDR-Geschichte: Die Intensität und die Maßnahmen wurden immer an den Herausforderungen ausgerichtet, denen sich die SED-Diktatur gegenübersah. Innen- und außenpolitische Erwägungen waren dabei maßgeblich. In den ersten beiden Jahrzehnten stand die erzwungene gesellschaftliche und wirtschaftliche Umgestaltung auf der Agenda. Seit den 1970er Jahren bis 1989 ging es um die Absicherung der Diktatur, die sich in den 1980er Jahren einer immer stärker sichtbaren politischen Opposition gegenübersah – und diese (vor allem wegen des eigenen Bildes im Ausland) immer weniger offen, sondern stärker verdeckt bekämpfte.
Die SED griff zur Unterdrückung auf das ihr treu ergebene gefürchtete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sowie die parteikonforme Willkürstrafjustiz zurück. Ein mit den Jahren aufgebautes Spitzelnetz des MfS und der Volkspolizei versorgte nicht nur die Unterdrückungsorgane mit Informationen. Vielmehr sorgte schon die Befürchtung, durch ein bestimmtes Verhalten ins Visier des staatlichen Machtapparates zu gelangen, für Konformität der offiziell „Bürger“ genannten DDR-Untertanen. Selbst wenn die Unterdrückungsmechanismen in den 1980er Jahren vor allem verdeckt funktionierten, waren sie weiterhin jedermann bewusst. Wer die DDR und ihren Charakter als Unrechtsstaat besser verstehen will, sollte Mirschels und Kunzes Band lesen.
Rezension: Prof. Dr. Philipp Austermann
Markus Mirschel/Samuel Kunze
Diktatur im Wandel
Eine Geschichte der DDR in Quellen
Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2023, 445 Seiten, € 30,–