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Muskelrekonstruktion: „Lucy“ stand wie wir

Vormenschen

Muskelrekonstruktion: “Lucy” stand wie wir

3D-Modell der rekonstruierten Muskelstrukturen des Fortbewegungsapparats der Australopithecus afarensis-Frau „Lucy“. © Dr Ashleigh Wiseman

3,2 Millionen Jahre alter Muskulatur auf der Spur: Die funktionale Rekonstruktion von Weichteilgeweben der berühmten Vormenschenfrau “Lucy” bestätigt, dass der Bewegungsapparat von Australopithecus afarensis wohl bereits ähnlich funktionierte wie bei uns: Die Vormenschen standen demnach auf geraden Beinen und drückten auch beim Gehen das Knie ganz durch. In den Ergebnissen zeichnet sich nun weiteres Potenzial für die Erforschung von Bewegungssystemen bei den Vertretern des menschlichen Stammbaums ab.

Sie ist ein „Weltstar“ der Anthropologie: Seit ihrer Entdeckung im Jahre 1974 hat das Fossil der Vormenschenfrau mit dem Spitznamen „Lucy“ viel Aufmerksamkeit erregt. Denn dieses Wesen, das vor 3,2 Millionen Jahren in Ostafrika unterwegs war, besaß eine faszinierende Mischung aus affenartigen und menschlichen Merkmalen. Seither wurden weitere Fossilien der Homininen-Art entdeckt, die als Australopithecus afarensis bezeichnet wurde. Doch mit 40 Prozent des Skeletts repräsentiert Lucy nach wie vor das Fossil mit dem umfangreichsten Knochenbestand ihrer Spezies.

Es zeigt sich, dass Australopithecus afarensis noch ein eher affenartiges Gesicht sowie relativ kleines Gehirn besaß. Es zeichnen sich zwar auch noch anatomische Anpassungen an das Klettern in den Bäumen ab, doch aus Untersuchungen des Bewegungsapparates geht recht deutlich hervor, dass diese Vormenschen schon auf zwei Beinen liefen. Funde von versteinerten Fußabdrücken aus der Fundregion untermauern dies ebenfalls. Inwieweit ihre Fortbewegungsweise aber tatsächlich der unsrigen ähnelte, gilt als unklar. Einige Anthropologen vermuten eine bereits recht fortschrittliche Gangart. Andere meinen eher, dass sich Australopithecus afarensis noch in einem geduckten Watschelgang mit leicht abgewinkelten Knien fortbewegte – ähnlich wie Schimpansen, die kurzzeitig zweibeinig laufen.

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Noch eher plump oder schon fortgeschritten?

Um weitere Hinweise zu bekommen, hat Ashleigh Wiseman von der University of Cambridge nun die Muskulatur des Bewegungsapparates von Lucy digital rekonstruiert. “Muskelrekonstruktionen wurden bereits verwendet, um die Laufgeschwindigkeit beispielsweise eines T. rex zu bestimmen”, sagt die Expertin für Biomechanik. “Auch Lucys Fähigkeit, aufrecht zu gehen, kann sich in der Rekonstruktion ihrer Muskeln widerspiegeln”, so Wiseman. Um die nicht erhaltenen Weichteilgewebe digital nachzubilden, begann die Wissenschaftlerin mit Untersuchungen bei heutigen Menschen. Mithilfe von Daten aus MRT- und CT-Scans der Muskel- und Knochenstrukturen erfasste sie die relevanten Strukturen. So kartierte sie die Muskelbahnen und entwickelte ein digitales Modell, das als Grundlage für die Untersuchung des Bewegungsapparats von Australopithecus afarensis dienen konnte.

Anschließend nutzte Wiseman vorhandene virtuelle Modelle von Lucys Skelett zur Rekonstruktion ihrer Muskulatur. Die Daten umfassen dabei auch Informationen über bestimmte Spuren an den Knochen, die auf einstige Weichteilstrukturen hinweisen. So entwickelte die Forscherin schließlich ein Modell des rund 3,2 Millionen Jahre alten Bewegungsapparates, das insgesamt 36 Einzelmuskeln des Hüft- und Beinbereichs umfasst. Die Ergebnisse ließen dabei auch Rückschlüsse auf Hebelwirkungen und Gelenkfunktionen zu: Es ließen sich Achsen definieren, um die sich die Gliedmaßen bewegen und drehen konnten, erklärt die Wissenschaftlerin.

Ein gestrecktes Knie zeichnet sich ab

Wie sie berichtet, untermauern ihre Ergebnisse die Annahmen von einem bereits recht fortschrittlichen Fortbewegungssystems bei Australopithecus afarensis: “Lucys Muskeln deuten darauf hin, dass sie die Zweibeinigkeit schon ähnlich gut beherrschte wie wir, obwohl sie möglicherweise auch noch in den Bäumen zu Hause war. Allerdings ging sie wohl auf eine Art und Weise, die wir bei keiner anderen heute lebenden Spezies mehr beobachten können”, sagt Wiseman. Zumindest konnten die Vormenschen offenbar schon ihre Kniegelenke so weit strecken wie moderne Menschen, geht aus den Merkmalen der rekonstruierten „Kniestreckmuskeln“ und den abgeleiteten Hebelwirkungen hervor. “Australopithecus afarensis hat vor drei bis vier Millionen Jahren in Ostafrika sowohl offene bewaldete Graslandschaften als auch dichtere Wälder durchstreift. Die Rekonstruktionen von Lucys Muskeln legen nahe, dass sie in der Lage gewesen wäre, beide Lebensräume effektiv zu nutzen“, resümiert die Wissenschaftlerin.

Wie Wiseman abschließend hervorhebt, verdeutlichen ihre Ergebnisse nun auch das grundlegende Potenzial für den Einsatz der digitalen Muskelrekonstruktion für die Anthropologie: “Indem wir diese Technik auf verschiedene Vertreter unseres Stammbaumes anwenden, könnten wir das Spektrum der körperlichen Bewegung aufdecken, das unsere Evolution vorangetrieben hat – einschließlich der Fähigkeiten, die wir verloren haben”, so die Wissenschaftlerin.

Quelle: University of Cambridge, Fachartikel: Royal Society Open Science, doi: 10.1098/rsos.230356

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