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Überreste der frühesten Reiter entdeckt

Geschichte|Archäologie

Überreste der frühesten Reiter entdeckt
Jamnaja-Grab
Grab eines Jamnaja-Mannes, bei dem klare Indizien für regelmäßiges Reiten gefunden wurden. © Michał Podsiadło

Die Nutzung von Pferden als Reittier und für den Transport war ein wichtiger Fortschritt für die menschliche Mobilität. Doch wann der Mensch Pferde erstmals zum Reiten nutzte, war bisher unklar. Jetzt liefern Analysen von 4500 bis 5000 Jahren alten Skeletten aus der südosteuropäischen Steppe eine mögliche Antwort. Bei fünf zur Jamnaja-Kultur gehörenden Toten identifizierten die Forscher anatomische Veränderungen, die typischerweise durch regelmäßiges Reiten entstehen. Dies belegt, dass Pferde schon relativ kurz nach ihrer Domestikation vor rund 5500 Jahren nicht nur als Lieferanten für Milch und Fleisch gehalten wurden, sondern auch als Reittiere dienten.

Die Domestikation der Pferde war ein Wendepunkt in der Kulturgeschichte der Menschheit. Denn mit diesen vierbeinigen Helfern konnten unsere Vorfahren erstmals größere Entfernungen überwinden, Lasten effektiv transportieren und ganz neue Techniken in Ackerbau, aber auch Kriegswesen entwickeln. Wo genau die ersten Pferde gezähmt und gezielt gezüchtet wurden, ist nicht eindeutig geklärt. Genetische und archäologische Studien sprechend jedoch dafür, dass Steppenbewohner auf dem Gebiet des heutigen Kasachstans schon vor rund 5500 Jahren Pferde gezähmt hatten. Auch im Nordkaukasus wurden schon früh Wildpferde domestiziert, aus diesen Pferden entwickelten sich die Vorfahren der heutigen Hauspferde. Anfangs hielten die Steppenbewohner diese Pferde vermutlich vorwiegend als Fleisch- und Milchlieferanten.

Wann begann der Mensch Pferde zu reiten?

Wann die Menschen in der eurasischen Steppe aber begannen, sie auch als Reittiere zu nutzen, war bislang aus Mangel an eindeutigen Belegen strittig. Denn ob ein Pferd geritten wurde, lässt sich nicht an seinem Skelett ablesen und Zügel aus Leder oder anderen vergänglichen Materialien bleiben meist nicht über lange Zeit erhalten. Selbst bei den Steppennomaden der Jamanja-Kultur war es bisher unklar, wann sie begannen, ihre Pferde nicht nur als Zugtiere zu nutzen, sondern sie auch zu reiten. Diese Kultur entwickelte sich ab dem vierten Jahrtausend vor Christus in der pontisch-kaspischen Steppe und breitet sich von dort aus bis zur Mongolei und in den Südosten Europas hinein aus. Archäologische Funde legen nahe, dass die Jamnaja diese enorme Ausbreitung über mehr als 4500 Kilometer hinweg in der Zeit um 3000 vor Christus innerhalb von nur zwei Jahrhunderten bewerkstelligten. “Es ist schwer vorstellbar, wie diese Expansion ohne fortgeschrittene Transportmethoden möglich war”, erklären Martin Trautmann von der Universität Helsinki und seine Kollegen. Ob die Jamanja jedoch dabei beritten waren, ließ sich bisher nicht belegen.

Die frühesten bildlichen Darstellungen reitender Menschen stammen erst aus der Zeit des mesopotamischen Ur um rund 2000 vor Christus. Sie zeigen Reiter meist in dem für das Reiten ohne Sattel und Steigbügel typischen Stuhlsitz: “Er ist physisch anstrengend, weil die Beine ständig zusammengedrückt werden müssen, um Halt auf dem Pferderücken zu finden, und weil man ständig balancieren muss”, erklären Forscher. An genau diesem Punkt setzt nun ihre Studie an. Sie haben 156 Skelette aus der Zeit vor 4500 bis 5000 Jahren auf reitertypische Veränderungen hin untersucht, die in Südosteuropa gefunden wurden. “Es gibt kein einzelnes eindeutiges Merkmal, aber die Kombination verschiedener anatomischer Auffälligkeiten kann verlässlichen Aufschluss über gewohnheitsmäßige Aktivitäten geben”, erklärt Trautmann. Konkret suchten die Forscher nach sechs diagnostischen Kriterien für das Reiten, darunter Veränderungen am Hüftknochen und Oberschenkelknochen und Auffälligkeiten an den Muskelansatzstellen dieser Knochen.

Klare Indizien fürs Reiten bei Jamnaja-Toten

Die Analysen ergaben, dass 24 der untersuchten Toten zumindest einige der sechs Kriterien für regelmäßige Reiter erfüllten. Fünf weitere Skelette von Personen, die vor rund 5000 bis 4500 Jahren in Grabhügeln der Jamanja in Rumänien, Bulgarien und Ungarn bestattet worden waren, erfüllten vier von sechs Kriterien, eines von ihnen sogar alle sechs. Diese Menschen müssen damit zu Lebzeiten regelmäßig auf dem Pferderücken gesessen haben. “Dies sind die ältesten Menschen, die bisher klar als Reiter identifiziert worden sind”, schreiben die Wissenschaftler. Ihrer Ansicht nach belegt dies, dass die Jamnaja sich damals schon reitend fortbewegten. “Das Reiten scheint sich demnach nicht lange nach der Domestikation der Pferde in den westlichen Steppen Eurasiens entwickelt zu haben”, sagt Co-Autor Volker Heyd von der Universität Helsinki. Zwar waren diese frühen Pferde wahrscheinlich noch weniger zahm als ihre Nachfahren und auch schreckhafter. Das machte sie vermutlich noch eher ungeeignet für den Kampf zu Pferde. “Aber das Reiten war sicher nützlich, um ausgedehnte Gebiete zu patrouillieren und große Viehherden zu überwachen”, erklären die Forscher.

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Das Team hat außerdem einen Toten gefunden, der noch älter ist als die fünf Jamnaja-Reiter und auch einige Indizien für das Reiten zeigte. “Das Grab im ungarischen Csongrad-Kettöshalom stammt aus der Zeit um 4300 vor Christus. Die Pose und Grabbeigaben legen nahe, dass es sich dabei um einen Einwanderer aus der Steppe handelt”, berichtet Co-Autor David Anthony vom Hartwick College in den USA. “Überaschenderweise zeigte auch er vier der sechs mit dem Reiten assoziierten Pathologien.” Dies könnte nach Ansicht der Forscher darauf hindeuten, dass einige Steppenbewohner vielleicht sogar schon tausend Jahre früher als die Jamnaja auf Pferden ritten. “Ein isolierter Fall ist noch kein eindeutiger Beweis, aber in den neolithischen Steppengräbern aus dieser Ära wurden manchmal auch Pferde in menschlichen Gräbern bestattet und Steinkeulen waren mit geschnitzten Pferdeköpfen verziert”, so Anthony. Das lege zumindest nahe, dass Pferde schon für diese Kulturen eine wichtige Rolle spielten.

Quelle: Martin Trautmann (Universität Helsinki) et al., Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.ade2451

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